Mit Geduld und Fingerspitzengefühl zur Spitze

Birgit Göldner

Birgit Göldner

Über Birgit Göldner ist aus der letzten Woche am leichtesten zu berichten. Dabei ist das Spitzenklöppeln, das sie beherrscht und unterrichtet sehr schwierig. Unsere Begegnung am Dienstag war so fein und so zart berührend, wie die Spitze, um die es ihr geht.

Schlüsselerlebnis in Malta

1979 wurde auf Malta noch Spitze geklöppelt. „Da saßen die Frauen mit ihren Klöppelkissen vor ihrer Haustür auf der Straße“, erinnert sich Birgit Göldner. Sie ließen unfassbar viele kleine Holzstäbe – Klöppel – die an den Enden feiner Leinenfäden befestigt waren, nach einem zunächst undurchschaubaren System flink durch ihre Hände gleiten. Dabei heraus kam ein luftiges, leichtes Gewebe. „Ich war sofort fasziniert“, erinnert sich die geborene Neusserin, die auf der Mittelmeerinsel weilte, um englisch zu lernen. Ein Schlüsselerlebnis. Sofort besorgte sie sich die nötigen Materialien, ließ sich die Grundlagen beibringen und übte sie meterweise. „Das Material ist auch heute noch nicht teuer“, sagt sie. Ein Klöppel kostet 70 Cent, 16 Stück braucht man am Anfang. „Eigentlich sind alle Muster aus drei verschiedenen Grund-Schlägen zusammen gesetzt“, erklärt sie. „Dem Leinenschlag, dem Netz- und dem Ganzschlag.“

Sonnenspitze: Die Mitte muss straff gezogen sein, damit das Gewebe Halt hat

Sonnenspitze: Die Mitte muss straff gezogen sein, damit das Gewebe Halt hat

Geduld und Fingerspitzengefühl als unabdingbares Talent

Was weitaus schwieriger zu erwerben ist, sind Geduld und Fingerspitzengefühl, ohne die es beim Klöppeln nicht geht. Geduld, weil es Stunden um Stunden dauert, bis eine Spitze fertig ist. Fingerspitzengefühl, weil die feinen Fäden aus Leinen, Baumwolle oder Seide, so fest gezogen werden müssen, dass das Gewebe die richtige Struktur bekommt, und so locker gehandhabt werden müssen, dass es nicht zusammen gezogen wird und die Fäden nicht reißen. „Ich glaube, beides hatte ich schon immer“, sagt Göldner.

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Ausbildung für sich und andere

Zurück in Deutschland vervollkommnete sie ihre Technik durch Studienaufenthalte. Die führten sie nach Diest und Brügge (Belgien), Le Puy (Frankreich), Tiverton (England) oder Annaberg, finanziert mit dem Handel mit handgeklöppelten Spitzen, beispielsweise auf dem Flachsmarkt in Linn. Besonders der Aufenthalt in Annaberg im Erzgebirge hat sie beeindruckt. „Da war ich noch zu DDR-Zeiten. Mein erster Aufenthalt dort! Ein echtes Abenteuer.“ In der Paramentik in Kaiserswerth absolvierte die gelernte Bankkauffrau ein Jahres-Praktikum. Dort vervollständigte Birgit Göldner ihre Stick-Technik, die man für das Erstellen von Nadelspitzen braucht.

„Ziemlich zeitgleich fing ich an, mein Wissen weiterzugeben“, sagt sie. „Ich wusste zwar, dass ich noch nicht perfekt bin, aber gut genug, denn es gab hier keine Klöppelschulen“, sagt sie schmunzelnd. An der Vhs Neuss gibt sie seit 19 Jahren ununterbrochen wöchentliche Kurse, in die auch immer wieder Anfängerinnen einsteigen können. Andere Frauen buchen Wochenendkurse bei ihr. Seit zehn Jahren organisiert sie für sie Reisen zu den alle zwei Jahre stattfindenden Treffen der internationalen Vereinigung der Spitzenmacher OIDFA.

Kreative Schöpfungen aus Fülle regionaler Unterschiede

Lange hat sie nie gebraucht, um die Muster zu verstehen. „Ich sehe mir eine Spitze an und begreife auf einen Blick, wie das Muster zu arbeiten ist“, sagt sie. Sie hat gesehen, dass jede Gegend ihre eigenen Muster und ihre eigene Art Klöppel hat. Sie selbst nimmt sich die Freiheit, aus dem Vollen zu schöpfen und alles nach eigenem Geschmack zu kombinieren. „Ich wollte immer etwas Kreatives machen. So gelingt mir das.“

Wanderung durch die Geschichte der Spitze

Überall in ihrem Haus kann man Spitzen bewundern. Solche, die sie selbstgemacht hat und historische.

Anfänge der Spitze liegen im Bearbeiten von Fransen

Auf ihrem Köppelkissen befindet sich derzeit ein handgewebter Leinenläufer, an dessen Enden sie die zirka 30 Zentimeter langen Fransen zu einem Muster verarbeitet. „So hat das im Mittelalter mit dem Klöppeln angefangen“, sagt sie. „Man hat die Rissfäden miteinander verflochten und verwebt, damit der gewebte Stoff nicht weiter ausfranst.“ Nach einen ähnlichen Muster wird jetzt eine ihrer Schülerinnen einen Schal aus dickeren Seidenfäden klöppeln. „Dafür wird sie ungefähr ein Jahr brauchen, wenn sie nur einmal pro Woche daran arbeitet.“

Schmeichelnder Luxus für den Adel

„Spitze braucht man nicht“, behauptet Birgit Göldner. „Ein unnützer Luxus! Die Welt wird nicht schlechter, wenn es keine Spitze mehr gibt.“ Auf einem Bügel im Treppenhaus hängt ein alter üppiger Spitzenkragen mit Volants aus Seidenspitze. „Spitze durften früher nur die Adeligen tragen“, sagt sie. Das filigrane Gewebe ist so fein, dass es nicht wirklich etwas verborgen haben dürfte. So weich, wie es sich anfühlt, wird es dem Dekolleté lustvoller geschmeichelt haben, als die Berührung einer rauen Männerhand.

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Erwerbsquelle Spitzenklöppeln

In England arbeiteten vor der Industrialisierung zeitweise bis zu 30000 Männer in der Herstellung von Spitze. „Erst als sie Arbeit in der Industrie fanden, übernahmen die Frauen das Klöppeln“, weiß sie zu berichten. Gerahmt unter Glas hat sie hauchzarte schwarze Chantily-Spitze, ebenfalls aus Seide. „An diesen Spitzen haben mehrere Frauen gearbeitet. Keine beherrschte das gesamte Muster, das war streng geheim, um Spionage vorzubeugen.“

Sichtschutz für die Holländer

Vor dem Küchenfenster steht ein floral anmutender Holzrahmen, in den eine Spitze gespannt wurde. „So haben die Holländer für einen leichten Sichtschutz gesorgt“, erzählt sie. Gardinensteuer sorgte früher im Nachbarland dafür, dass die Menschen allen Vorübergehenden Einblick in ihr trautes Heim gewährten.

Sichtschutz nach Art der Holländer

Sichtschutz nach Art der Holländer

Petitessen aus 250 Fäden.

Zwei ihrer besonders feinen Arbeiten zieren ihr Wohnzimmer. Aus unendlich feinen und zarten Fäden hat sie einen kleinen Bären und ein Motiv mit Kerzen geklöppelt. „Für den Teddy habe ich zirka 15 Stunden gebraucht. Bei dem Kerzenmotiv habe ich mit 250 Fäden gearbeitet“, sagt sie. Unvorstellbar, 250 kleine Holzstäbchen zu handhaben. „Ich glaube, klöppeln ist die einzige Begabung, die ich habe“, sagt sie bescheiden.

Handgeklöppelter Schmuck aus Draht.

Traditionell wird mit Leinen- oder Baumwollgarn gearbeitet, doch Göldner experimentiert auch mit anderen Materialien. Als andere Frauen sahen, was sie aus Silber- und Edelstahlfäden fertigte, haben sie sie ermutigt. Jetzt klöppelt sie Armreifen und Kettenanhänger in neuer, ungewöhnlicher Optik, zart und schimmernd.

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Schöne Vorlesegeschichten für Erwachsene

Das "Ohrenschmaus"- Team mit Gerd Brunner, 2. von links

Das “Ohrenschmaus”- Team mit Gerd Brunner, 2. von links

Vorgelesen zu bekommen, ist wirklich etwas Wunderschönes. Meine Kinder beispielsweise mochten es so gern, dass sie auch dann noch nach ihrer Gute-Nacht-Geschichte verlangten, als sie schon in der Pubertät und ansonsten voll cool waren.

Ohrenschmaus setzt diese Tradition fort. Zwar nur einmal im Monat, und dann auch nicht nach und nach ein ganzes Buch, sondern Auszüge aus vier Bücher an einem Abend, gelesen mit verteilten Rollen und in unterschiedlichen Lokalitäten.

Am Montagabend waren es neben Jörg Enger und Stefan Hübner als Veranstalter, Bärbel Kluth, Ex-Mitglied der Komödianten und Micheal Kranz, Chefredakteur des Wirtschaftsblattes, die die Texte vortrugen. Vorbereitet hatten sie „Gott im Unglück“ von A. Lee Martinez, ein Buch, für das man sich kaum entscheiden würde, sieht man nur auf den Titel und das Cover, das sich aber als ausnehmend witzig und satirisch erwies. Als Satire empfahl Jörg Enger auch den Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams. Das dritte Buch war „Winterkartoffelknödel“, ein Provinzkrimi – aus Bayern – von Rita Falk, in dem seitenweise kein Verbrechen geschieht, sondern die exemplarischen Lebensumstände des Dorfpolizisten Franz Eberhofer witzig beschrieben werden.

Zum Schluss würdigten die Vier Walter Moers, den großen Autor aus der Nachbarstadt Mönchengladbach mit einem Auszug aus „die 13 einhalb Leben des Käpt‘n Blaubär“.

Dabei ist das letzte Plus der Veranstaltung noch nicht erwähnt: Die Lokalität. Diesmal saßen die 32 Gäste in der Werkstatt Deko & Co. an der Roßstraße 144. Inhaber Gerd Brunner gewährte Einblick in seine Arbeit, bei der er sich auch der Restaurierung alter Möbel widmet. Da beherrscht er sogar ausgefallene Techniken – ein Art Déco Tisch wartete auf seine Schellackpolitur.

http://www.dekoundco.de

Die zweite Haut auf dem eigenen Körper

Wolf Tekook lädt Frauen ein, ihm Begriffe zu ihrem eigenen Rollenverständnis zu übermitteln. Er projiziert sie über Frauenkörper, auf Wunsch über den eigenen. Inwieweit die Frauen zu den einzelnen Werken ihren Namen oder ihr Alter angeben, können sie selbst entscheiden.

Wolf Tekook lädt Frauen ein, ihm Begriffe zu ihrem eigenen Rollenverständnis zu übermitteln. Er projiziert sie über Frauenkörper, auf Wunsch über den eigenen. Inwieweit die Frauen zu den einzelnen Werken ihren Namen oder ihr Alter angeben, können sie selbst entscheiden.

Der Fotograf Wolf Tekook sucht für sein neues Projekt noch Frauen, die sich zu ihrem Rollenverständnis äußern

Inspiriert hat ihn ein Kleidercontainer des Deutschen Roten Kreuzes. „Ich habe die Beschriftung fotografiert“, erinnert sich Wolf Tekook. Zuhause sah er sich die Worte an: „Die entstammten natürlich dem wohltätigen Bereich“, sagt der Fotokünstler, der für seine Arbeiten gern Worte und Bilder verbindet. „Pflege, Erziehung, Kind, Besuche . . .“, erinnert er sich. Worte, die nach seiner Erfahrung gut zum Rollenverständnis von Frauen passen. Mit Hilfe der digitalen Bildbearbeitung projizierte er sie auf den Körper einer Frau. „Multitasking“ heißt das Bild, das er auf seiner Homepage zeigt.

Mit Fotografie beschäftigt sich Tekook seit seiner Jugend, mit der digitalen Bearbeitung von Bildern hat er bereits 1982 begonnen. „Da gehörte ich zu den ersten“, sagt er. Seine Werke finden inzwischen internationale Beachtung. 2012 hat er in New York ausgestellt und auf der Biennale in Beijing, 2013 ist eine Ausstellung in Paris geplant, in Israel ist er seit Jahren ein gern gesehener Gast.

„Jetzt wollte ich wissen, was Frauen selbst über ihr Rollenverständnis sagen“, erzählt er über die Entwicklung der Projektidee. Viele Frauen waren spontan bereit, ihm solche Begriffe zu liefern. „Die meisten von ihnen wollten sie auf ihren eigenen Körper projiziert haben“, erzählt er über die weitere Entwicklung des Projekts. Das habe ihn zwar einerseits überrascht, aber andererseits gefreut und er fand die Idee auch naheliegend. „Die Rolle liegt dann über ihrem Körper wie eine zweite Haut.“ Weil Tekook von dem Frauenbild nur den Torso verwendet, Beine und Kopf nicht zu sehen sind, bleibt die Anonymität gewahrt.

Inzwischen hat Tekook genügend Bilder zusammen, um damit die  Ausstellung im April in der artClub-Galerie in Köln zu bestreiten. Doch die Fülle und Vielfalt der Einsendungen lassen ihn nicht ruhen. „Jetzt schwebt mir ein Buchprojekt vor“, sagt er. Es wäre das vierte, nach „Philemon und Baucis: Baum – Mensch“, „HAUTkontakt: Schatten von Träumen“ und „LEBENSkontakte“, die  schon erfolgreich laufen. Die beiden letzteren entstanden in Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Johanna Renate Wöhlke.

Kontakt über: www.wolftek.de