Theo, der Straßenbahn-Fan

Eigentlich war es ein Scherz

Ich habe es oft gesagt, aber eigentlich mehr scherzhaft. Wenn Theo mit mir an der Straßenbahnhaltestelle steht und voller Kraft an der Leine zieht – Richtung Einstieg Straßenbahn. Oder voller Elan hineinspringt, wenn „unsere“ Bahn die Tür öffnet. Wenn sich dann die Menschen über seinen Enthusiasmus wunderten, habe ich immer wieder gesagt: „Ich glaube, wenn der mir mal abhaut, dann muss ich die Stadtwerke anrufen, ob aus irgendeiner Straßenbahn ein Welsh-Terrier ohne Begleitung gemeldet wird.“

Theo fährt Straßenbahn wie ein Alter

Hund Theo in der Straßenbahn - zum ersten Mal im Leben © Susanne Böhling
Hund Theo in der Straßenbahn – zum ersten Mal im Leben © Susanne Böhling

Ich habe mich darüber gefreut, denn Theo kannte in seinem vorhergehenden Leben nichts vom Straßenbahnfahren. Aber direkt an dem Abend, nachdem ich ihn mitgenommen hatte, aus seinem früheren Zuhause, dem Zwinger vom Delissenhof, da habe ich auf dem Rückweg von Hüls die Straßenbahn genommen und er ist eingestiegen und mitgefahren, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Darüber habe ich schon geschrieben. Es zeugt von seinem guten Wesen.

Theo kennt kein Kommando für “Komm”

Und eine Gelegenheit abzuhauen, gebe ich ihm ja nicht. Bei uns in der Stadt herrscht Leinenzwang. Ich halte mich brav daran. Denn Theo kannte aus seinem früheren Leben weder ein Kommando für „Komm“ noch einen entsprechenden Pfiff – genauso wenig wie Straßenbahnfahren. Okay, wenn wir mal so ganz alleine unterwegs gewesen sind, an einer Hundefreilaufwiese oder er mit seinem Neffen Johnny, der bei meiner Tochter lebt, toben konnte, dann habe ich es schon mal riskiert. Aber um Himmelswillen nicht bei mir, mitten in der Stadt! Die vielen Pommes, die halben Brötchen, die die Menschen hier so verlieren, er würde sie alle fressen, bekäme Durchfall und würde sich erbrechen.

Durch Unaufmerksamkeit riskiere ich, dass Theo überfahren wird

Und dann am Donnerstag. Hatte ich einen sehr bewegenden Vormittag. Und nachdem ich den Rechner runter gefahren hatte, wollte ich kurz mit ihm Gassi gehen. Gedankenverloren steige ich die Treppen herunter und anstatt vor der Haustür innezuhalten und ihm die Leine anzulegen, öffne ich – völlig in Gedanken! – die Tür … und Theo gibt – geistesgegenwärtig – Gas! Rennt im Galopp aus der Tür in die Fußgängerzone, driftet in einer scharfen Linkskurve Richtung Hansazentrum, schaltet noch mal einen Gang höher, rast durch das Hansazentrum, Richtung Straßenbahnhaltestelle! Ich haste hinterher ohne die geringste Chance ihn einzuholen … meine Rufe verhallen ungehört., egal ob energisch oder kläglich. Also ungehört von ihm. Alle anderen Passanten drehen sich nach mir um und schauen verwundert … bis schadenfroh. Ich habe Angst. Aber nicht vor Blamage. Angst, dass er weiter rennt, Richtung Straße, und er von einem Bus oder Auto überfahren wird.

Die dramatische Verfolgungsjagd endet. Es ist gerade keine Straßenbahn da

Aber er bleibt an der Straßenbahnhaltestelle, drosselt das Tempo. Dort endlich, hält er inne, wundert sich wahrscheinlich, dass da keine Bahn steht. aber einholen lässt er sich nicht, jetzt spielt er begeistert Fangen mit mir … „Du kriegst mich doch nicht!“ teilt er mir hüpfend und Haken schlagend mit. Mir ist nicht nach Spielen.

Plötzlich interessiert er sich für eine fremde Frau, die ihm die Hand zum Schnuppern hinhält, so dass ich ihm die Leine umlegen kann. Ich bedanke mich und atme durch. Ich bin so froh, dass gerade keine Straßenbahn da war. Womöglich wäre er hineingehüpft, die Türe hätte sich vor meiner Nase geschlossen und weg wäre er gewesen. Was ich im Scherz behauptet hatte, wäre sicher wahr geworden. Kaum auszudenken.

© Susanne Böhling

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Es ist möglich: Verständnis für Hundehaufen …

— aber das nützt nur bedingt

Meine Beobachtungen führen zu Verständnis

Es war durchaus ernst gemeint. Dass es vielleicht ernste, nachvollziehbare Gründe gibt, warum so viele Hundehaufen rumliegen. Beispielsweise auf dem Alexanderplatz in Krefeld Innenstadt. Da würde man beim Flanieren gern die bezaubernden Gründerzeitfassaden betrachten. Aber Vorsicht! Tretminen. Das finde ich ärgerlich und als eine Hundehalterin, die sorgfältig jeden Haufen ihres Lieblings beseitigt, um so schlimmer. Aber: Bei unseren Spaziergängen fallen mir immer mehr Menschen auf, die körperlich eingeschränkt sind, die am Rollator gehen oder im Rollstuhl sitzen – und einen Hund haben. Denen möchte ich das Recht auf so einen Hausgenossen beileibe nicht absprechen, weiß ich doch selbst, wie viel der zur seelischen Ausgeglichenheit beitragen kann. Aber dass die sich bücken um die Haufen aufzuheben? Dürfte ihnen schwer fallen. Oder schlicht unmöglich sein. Und da muss dann sogar ich Verständnis haben.

Der Alexanderplatz im Sonnenlicht - Gründerzeitfassaden in ihrer ganzen Pracht
Der Alexanderplatz im Sonnenlicht – Gründerzeitfassaden in ihrer ganzen Pracht. © Susanne Böhling

Da will ich Verständnis zeigen und es kommt falsch an

Das dachte ich mir auch, als ich auf dem Ostwall sah, wie ein Hund – Format Dalmatiner – den Rücken krumm machte, um sich zu lösen (so heißt das in Jägersprache, klingt feiner, stinkt aber nicht weniger). Und sein Herrchen flotten Schrittes davon strebte. „Sehr schlau”, dachte ich mir. “So kriegt er nicht mit, was sein Köter da macht und kann ihn später in aller Unschuld zu sich pfeifen.” Skandalös. Aber – siehe oben – und das sagte ich dann auch zu einem dritten Hundehalter, der sein Tier an der Leine führte: „Vielleicht hat es der junge Mann ja im Kreuz.“

Es war nicht ironisch gemeint! Aber …

Was der junge Mann nicht überhören konnte. Worüber er sich erst ziemlich aufregte. Ich fürchtete schon, er würde mir eine reinhauen, so aggressiv kam er rüber. Aber dann erklärte er: „Sonst macht sie nur einen Haufen – und ich hatte nur eine Tüte dabei.“ Er wollte also –flotten Schrittes – lediglich zur nächsten Hunde-Station um sich dort eine Tüte für den zweiten Haufen zu holen. Da konnte ich seinen Unmut verstehen und habe ich mich schlicht und aufrichtig entschuldigt. Der junge Mann war viel zu aufgebracht, um sich meine eingangs geschilderten Betrachtungen als Begründung für meine Bemerkung anzuhören. Und als wir uns heute Morgen erneut begegnet sind, haben wir uns ganz freundlich gegrüßt.

© Susanne Böhling

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Irgendwann hat Theo genug vom Warten

Als ihm das warten zuviel wurde, hatte er einen Einfall …

Theo wartet und passt auf den Korb auf

Warten beim Arzt

Es war auch wirklich viel verlangt. Schon beim Corona-Schnelltest musste Theo warten. Der war negativ, also auf zum Arzt mit meiner Schniefnase. Da musste er wieder warten. Den Korb für den anschließend geplanten Marktbesuch ließ ich ihm zum Aufpassen. Das sah durchaus niedlich aus. Dauerte aber gefühlt mindestens eine Stunde und ich war mir da schon nicht sicher, ob Theo weiß, was „aufpassen“ ist.

Warten am Markt

Am Markt dann wieder warten, denn der Hund darf da nicht mit. Vor dem Eine-Welt-Laden haben sie so einen Ring vor dem Schaufenster, an dem konnte ich ihn festmachen.

Jetzt schnell zum Geflügelhändler, „ein halbes Suppenhuhn bitte“, Hühnersuppe ist immer gut gegen Schniefnase. Anschließend Äpfel und Birnen, Porree und Möhren, Sellerie hatte ich noch zuhause. „Brav hast Du gewartet Theo“, lobte ich ihn und wir setzten den Weg gemeinsam fort. Aber dann kamen wir an dem Stand mit den Kräutern und Gewürzen vorbei und da könnte ich doch mal nach Lindenblüten – gegen die Schniefnase – schauen, wäre sicher günstiger als in der Apotheke. Nur Theo musste wieder warten. Ich ließ ihm wieder den Korb zum Aufpassen.

Warten beim Gewürzhändler

Der Gewürzhändler hatte nicht nur Lindenblüten. Ich fand noch so dies und das und wunderte mich zwischendurch, Theo bellte zweimal, so wie er es sonst nie tut. Aber weil es damit auch schon getan war und es nicht in andauerndes Gekläffe ausartete, habe ich das ignoriert und weiter eingekauft. Als ich bezahlte, bemerkte ich die alte Dame an ihrem Rollator, die breit grinsend in Theos Richtung schaute.

Theo hat eine Möhre erobert und frisst sie genüsslich auf seinem Fell in der Sonne

Da sah ich die Bescherung. Sein Bellen war eine Warnung: „Wenn es jetzt hier nicht weiter geht …“ und dann hatte er sich eine Möhre aus meinem Korb geschnappt, die er jetzt in aller Ruhe verspeiste. Ihm fällt schon was ein, er ist schließlich intelligent, ich hätte es wissen können

Der Hund ist doch nicht vegan …

Das ging dann zuhause so weiter: Die Möhre, die mir beim Verstauen der Einkäufe runter fiel, schnappte er sich sofort, genau wie die Birne … und dann war ihm schlecht, er erbrach sich auf meinen Teppich und es dauerte ein paar Stunden, bis ihm wieder nach Futter zumute war.

© auch für alle Fotos: Susanne Böhling

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Mit der Hand auf einem Männerhintern für die Rechte der Frauen

Zu einer Zeit als schlecht bezahlte Journalistin

Erzählt habe ich die Geschichte schon öfter. Besonders gern anderen Frauen. Denn irgendwie fühlte sie sich ein bisschen nach Triumpf an. Und sie spielte Mitte März, also durchaus in zeitlichem Bezug zum Weltfrauentag, und zu einer Zeit da ich als Freie Journalistin für die ortsansässige Redaktion einer Tageszeitung schrieb. Ich tat das nicht des Geldes wegen – deswegen nenne ich es auch nicht „arbeiten“. Eigentlich ließ ich mich ausbeuten.

Mein Augenmerk richtete ich jedoch auf anderes: Mir wurde bestätigt, dass mein ursprünglicher Berufswunsch – Journalistin – durchaus meinen Begabungen entsprochen hätte, das allein machte mich glücklich. Ich genoss die Anerkennung, die ich für meine – durchaus frechen – Texte bekam. Jeden Tag konnte ich meine Neugiersnase irgendwo reinstecken, sie rausziehen, darüber schreiben und weiter gings. Was habe ich viele interessante Menschen getroffen! Außerdem waren die festangestellten Redakteure in der Redaktion witzig und niemals sahen sie auf mich herab, auch wenn ich in Sachen Einkommen am untersten Ende stand. Ich habe die Zusammenarbeit genossen, viel gelernt und kam mit allen gut aus.

Pantoffelheld mit Allüren

Auch wenn Redakteur H. beispielsweise durchaus Macken hatte. Er stand zuhause unter dem Pantoffel von fünf Frauen: Seiner Ex, seinen drei Töchtern und seiner gegenwärtigen Ehefrau. In der Redaktion jedoch irritierte er bei jeder Gelegenheit die Volontärinnen mit Sprüchen, die so ganz haarscharf ans sexistische grenzten und die jungen Frauen in Verlegenheit stürzten.

Mich ließ er in Ruhe. Nicht von Anfang an. Aber ich hatte seine Versuche ein paar Mal so gekontert, dass er dann derjenige war, der mit hochrotem Kopf dem Gelächter der Kollegen ausgesetzt war. Also ließ er es bleiben.

Erst nach Kaffee schauen

Dieser Kerl, fragt mich doch eines Morgens, Mitte März, ob Kaffee da sei. „Oups“, dachte ich und antwortete: „Keine Ahnung. Interessiert mich auch nicht, ich bin nämlich gleich wieder weg zum ersten Termin, ich wollte nur schnell den Schlüssel vom Redaktionsauto holen.“ Als ich den an mich genommen hatte, hielt ich inne und gab mich gnädig: „Aber weißt Du was, H., für Dich schaue ich nach.“ Ich öffnete die Tür zur Teeküche, schloss sie wieder und sagte: „Nein, kein Kaffee da!“ Damit wollte ich schon abzischen, aber H. stellte sich mir in den Weg, klimperte mit den Augendeckeln und fragte: „Machst Du welchen?“

Dann Kaffee kochen?

Das war starker Tobak. Denn ein ungeschriebenes Gesetz in der Redaktion lautete, dass niemand, egal welcher Stellung, zum Kaffeekochen verdammt und missbraucht werden dürfte. Das führte dazu, dass so gut wie jeder mal Kaffee kochte. Jeder, mit Ausnahme von H., der wirklich nie Kaffee kochte, aber als erster in der Teeküche erschien, wenn es nach frischem Kaffee duftete.

Meine Kurzschlussreaktion zum Weltfrauentag

Das konnte ich ihm nicht durchgehen lassen. Kurzerhand (ich weiß dann immer nicht, was mich antreibt, aber egal) trat ich neben ihn, legte meine – rechte – Hand auf seinen Hintern, sah ihm ins Gesicht und sagte: „Nö“. Dabei dachte ich mir: ‚Wenn Du den Macho raushängen kannst, kann ich das auch.‘ Alle im Raum hielten die Luft an. H. blieb äußerlich ungerührt, ließ aber durchaus kokett seine Gesäßmuskeln unter meiner Hand spielen. Endlich löste sich einer der Kollegen aus seiner Schockstarre. „Susanne“, stieß er hervor, „heute ist doch gar nicht Weltfrauentag!“ Und H. antwortete: „Die, die hat doch das ganze Jahr Weltfrauentag.“ Wieder Gelächter, wieder auf seine Kosten, aber immerhin hatte er mit seiner Bemerkung dazu beigetragen.

Wo liegt der Unterschied?

Das ist nun schon eine sehr lange Zeit her. Bestimmt zehn bis 15 Jahre. Heute ist Weltfrauentag und ich denke wieder daran. Es fühlt sich immer noch gut, es diesem Macho gezeigt zu haben. Und wer immer jemals Underdog war, lacht befreit auf, wenn ich davon erzähle.

Wobei es sehr viele Frauen (die mit guten Verdienst vor allem) gibt, die dann politisch total korrekt sein wollen und meinen, man dürfe nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Dabei schauen sie allerdings nicht tief genug: Ich konnte damals gar nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Erstens hätte H. sich nie getraut, mir an den Hintern zu fassen. Und: Ich habe gegen das Machtgefälle, von unten nach oben agiert, während Hardy Weinstein seine Macht von oben nach unten missbrauchte.

Vielleicht neiden sie mir auch nur meine bisweilen drastischen spontanen Einfälle ungeklärter Herkunft (als Christin mache ich dafür den Heiligen Geist verantwortlich. Und danke ihm.)

Wäre schön, wenn uns das weiter bringen würde

Was bei solchen Betrachtungen ganz in Vergessenheit gerät: Der Frauentag ist ein Kampftag. Und der Kampf um Gleichberechtigung und die Emanzipation von Arbeiterinnen ist noch lange nicht ausgekämpft. Auch wenn ich mich heute nicht mehr ausbeuten lasse. Wir müssen ihn jeden Tag kämpfen. Dass wir endlich die gleichen Chancen bekommen, wenigstens, wenn schon nicht dieselben.

Und es wäre so schön, wenn sich die Männer gegen meinen Anspruch genauso wenig wehren würden wie H. gegen meine Hand auf seinem Hintern.

© Susanne Böhling

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Glückwunsch Gustaf!

WArum ich mir selbst einen GEfallen tue, wenn ich dem neffen gratuliere

Vielleicht fehlen mir ja die großen Gefühle und die großen Begegnungen – in meinem Leben sind es oft die kleinen, scheinbar flüchtigen, die ihm die rechte Würze geben.

Gustaf, beispielsweise, habe ich bewusst nur einmal gesehen. Er ging damals noch nicht zur Schule. Auf der Trauerfeier für meinen Onkel, seinem Großvater. Dessen Frau und Töchter (meine Tante und die Cousinen) hatten sich nach dem Beerdigungskaffee im Dorfgemeinschaftshaus in der Stube eingefunden, öffneten die Beileidskarten und hielten eine Nachbesprechung: Wer … wie … wann … hast du nicht gesehen …

Gustaf Foto: Privat

Daran konnte ich mich leider nicht beteiligen. Wer … wie … ich hatte dazu weder Gesichter noch Geschichten, denn das Dorf meiner Vorväter – und Onkels – ist nicht das meine. Nach Hause fahren ging auch nicht, es war zu weit, ich musste auf den nächsten Morgen warten, um aufzubrechen. Und so langweilte ich mich ein wenig. Gustaf langweilte sich nicht. Wobei auch er sich nicht an der Nachbesprechung beteiligte.

Die Basis: Gustaf und ich vertreiben uns gemeinsam die Langeweile

Er hatte kleine Autos dabei, die er mal an der einen und mal an der anderen Stelle auf dem Teppich parkte. Meist standen sie dicht an dicht. Dann bemerkte ich, dass er sie nicht hin und her fuhr – sondern trug. Jetzt rutschte ich zu ihm auf den Teppich und fragte ihn, warum er die Autos nicht fahren ließe. „So“, sagte ich und rangierte erst den LKW an einen anderen Platz, dann einen kleinen VW und dann auch noch den Trecker. Gustaf sah mich an. Mit großen Augen. Und diesem Zweifel im Blick, wenn Erwachsene etwas ungewöhnliches machen, und sie sich nicht sicher sind, ob sie ernst genommen werden oder man sich über sie lustig macht. Nach zwei Platzwechseln mit dem kompletten Fuhrpark schob er die Bedenken beiseite und nun parkten wir die Autos gemeinsam hin und her und die Zeit bis zum Abendbrot verging wie im Flug.

Ich half den Tisch decken, und als wir endlich alle saßen, tönte Gustafs Stimme laut und deutlich über die Tafel: „Die Susanne und ich, wir verstehen uns richtig gut!“ ließ er die ganze Verwandtschaft wissen.

Gustafs Tante zu sein ist nicht nötig, birgt aber Vorteile

Das war so schön und hat mein Herz tief und nachhaltig berührt – wie es bei ansonsten durchaus auch bei flüchtigen Begegnungen der Fall sein kann. Dafür muss man nicht unbedingt gemeinsam an einer Trauerfeier teilnehmen und verwandt muss man auch nicht sein. Das ist auch gut so, denn sein Großvater, der auch mein Onkel ist, stirbt nur einmal Seitdem haben Gustaf und ich uns auch nur noch einmal flüchtig gesehen. Der Vorteil, wenn man verwandt ist: Jedes Mal, wenn seine Mutter, meine Cousine, beispielsweise seine Geburtstagstorte in ihrem WhatsApp-Status postet, denke ich wieder dran. Ich vergesse die Begegnung einfach nicht so schnell wie sonst.

Und dann kann ich ihm sogar noch gratulieren und er freut sich wieder darüber!

Herzlichen Glückwunsch, Gustaf, zu Deinem 11. Geburtstag! Das war ein schönes Telefonat!

© Susanne Böhling

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Mann oder Hund – 1. Kapitel

Ich käme von alleine nie auf die Idee, den Hund als Alternative zu einem Mann zu sehen. Was Theos Bewusstsein anscheinend übersteigt, denn er entwickelt bisweilen eine gewisse Eifersucht.

Konkurrenz belebt das Geschäft

Gestern zum Beispiel, als wir uns von einem jungen Mann auf unserer Runde begleiten ließen. In vorauseilendem Gehorsam machte Theo vor jeder Straßenquerung Halt, setzte sich brav und wartete geduldig auf mein Kommando – wozu ich ihn sonst schon mal wiederholt, vehement oder unter Zuhilfenahme von Bestechung in Form von Leckerli auffordern muss. Gestern schickte er mir in dieser Haltung einen selbstbewussten Blick: „Mache ich das nicht prima?“ schien er zu sagen. Und den jungen Mann hat er durchaus etwas verächtlich, zumindest aber hochnäsig angesehen. „Ich weiß, was sie will und ich kann es auch tun”, war deutlich auf seiner Stirn zu lesen.

Wer kann der kann – und was erwarte ich von wem?

Dass es unterschiedliche Erwartungen geben könnte an einen Mann oder an einen Hund, übersteigt Theos Horizont.

Immerhin hat Theo mich mehr amüsiert als der junge Mann. Und auch heute noch: ich stelle mir gerade vor, wie sich der junge Mann vor jeder Straßenquerung hinsetzt. Und dann bekäme auch der ein Leckerli. Theo allerdings, könnte mir nie von seinen Träumen erzählen.

© Susanne Böhling

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