Lässt sich Kirche renovieren?

Parallelen sind rein zufällig

Wie der Zufall manchmal doch spielt: Da erleben wir gerade, wie der massenhafte Missbrauch Schutzbedürftiger und seine von höchster Stelle betriebene Vertuschung die Festen der Kirche erschüttert. Als Gläubiger steht man kopfschüttelnd vor den Zuständen. Sie offenbaren, dass es geweihten Amtsträgern so ernst nicht war und ist mit der Achtung der Kleinen und Schwachen. Ein Riss geht durch die Kirche. Viele fragen sich, inwieweit sie sich allein durch ihre Mitgliedschaft mitschuldig machen und erwägen auszutreten.

Auch St. Dionysius ist marode – das Gebäude

Genau zu dieser Zeit saniert die Pfarrgemeinde Pabst Johannes XXIII. das Gebäude der Dionysius-Kirche. Nur noch scheinbar trugen die starken Säulen sicher die hohen Decken: Man entdeckte unter dem Putz Risse, die auch die Gewölbe betrafen. Würde man sie ignorieren, drohte das Gotteshaus auseinanderzubrechen. Die Folgen wären fatal – nicht nur für die Gläubigen, denen der Ort zum Gottesdienst fehlen würde. Die Stadt würde ihr Wahrzeichen verlieren, die Armen den Platz, an dem Samstags das tägliche Brot verteilt wird, und Menschen, die Ruhe suchen, einen Ort zum Rückzug.

Die Verantwortlichen in der Pfarreispitze und dem Kirchenvorstand haben nicht lange gefackelt und mutig die Sanierung beschlossen.

Ein Gerüst aus tausenden von Teilen trägt die Arbeiter sicher

Renovierung in der Kirche

Damit die Arbeiten durchgeführt werden können, musste ein Gerüst in die Kirche gebaut werden. Auf den ersten Blick: Ein Gewirr aus tausenden mattgrauen Metallrohren. Auf den zweiten Blick erkennt man die kluge Ordnung, in der sie zusammengefügt wurden. Sie tragen die Plattformen und Stege. Auf denen fügen die Arbeiter wieder zusammen, was zusammengehört. Keines dieser hässlichen Rohre, die teilweise beschmiert sind von Beton und Mörtel der vorherigen Baustelle, darf fehlen, soll das Kirchenschiff wieder heil werden.

Das Rohr, das den Boden berührt ist nicht bedeutsamer als das hoch oben, dass die Plattform trägt – und umgekehrt.

Lassen sich Parallelen ableiten, wie Kirche zu reorganisieren sein könnte?

Wenn ich unter diesem Gerüst sitze, im Sonntagsgottesdienst, denke ich, dass wir alle vielleicht das Gerüst sein können, mit dessen Hilfe die Kirche Gottes saniert werden kann. Tausende von unbedeutend erscheinenden Gläubigen, die zusammengefügt tragen, was zur Heilung nötig ist. Wahrscheinlich kann es gar nicht anders gehen.

Eine Herausforderung für uns alle in der Kirche

Aber was bedeutet das „ordentlich zusammengefügt“? Zum einen – das liegt auf der Hand – natürlich, dass keiner in der Gemeinschaft unbedeutend ist. Dass jeder tragen darf, was er zu tragen imstande ist. Das ist eine Herausforderung, denn die Spitzen der Gemeinde sind keine Gerüstbauer. Es gibt keine Tradition, die Gemeindemitglieder so zu betrachten und einzubeziehen. Es gibt auch keine Tradition, nach der sich Mitglieder der Gemeindespitze selbst „nur“ als eines von vielen Gerüstteilen sehen – wo sie doch als Priester am Altar erhaben die Eucharistie zelebrieren oder zu Pfarreiräten und Kirchenvorständen gewählt die Geschicke der Gemeinde mitlenken. Vielleicht gibt es sogar die Angst, dass durch solche Gerüste offenbar wird, wo in uns selbst Risse klaffen, die uns von einem wirklich geschwisterlichen Umgang miteinander abhalten. Der Gerüstbauer hat alle Verbindungen sorgfältig überprüft, ob sie auch wirklich halten.

Selbstkritik und Entwicklungspotential

Und jeder von uns bedarf immer wieder der kritischen Betrachtung, die wir an uns selbst nicht immer leisten können (Wenn wir die Fähigkeit zur Selbstkritik nicht gepflegt haben, könnten wir uns auf vermeintlich heiligen Vorbilder der Kirchenspitze beziehen, die inzwischen als scheinheilig enttarnt sind). Nicht immer wird diese Kritik in der rechten Art und Weise geäußert. Aber wenn wir nachfragen und sie nicht von uns weisen, dringen wir vielleicht durch zu dem Punkt, an dem wir Nutzen aus ihr ziehen können. In der Gewissheit, Gottes geliebte Kinder zu sein, wird sie uns nur dann aus der Bahn werfen, wenn wir ohnehin schon geschwächt sind. Ansonsten können wir uns geschwisterlich stützen und helfen und uns zusammenfügen zu dem tragfähigen Gerüst, auf dem Risse in der Kirche zusammengefügt werden können.

Ästhetik und Symbolik passen für mich zur Situation in Kirche und Gesellschaft

Diese Gedanken und Empfindungen ziehen durch mein Gemüt, während ich im Sonntagsgottesdienst das Gerüst betrachte. Meine Blicke klettern die Gerüste hinauf und hinunter, wandern nach rechts und nach links. Allmählich beruhigen sich meine Gedanken, mein Blick bleibt hängen an den Knotenpunkten. Irgendwann erkenne ich die Kreuze, die sie abbilden, wenn zwei senkrechte und die vier waagrechte Rohre sich in einem Punkt treffen, Kreuze bilden – je eines in jeder der drei Dimensionen.

Das ist auch ein Versprechen. Dass unser Glauben bei der Renovierung hilft. Und Renovierungen bedarf nicht nur die Kirche. Die gesamte Gesellschaft, das Zusammenleben der Menschen auf diesem Planeten bedürfen der Erneuerung.

Das Kreuz im Gegenlicht
Das Kreuz im Gegenlicht © Susanne Böhling