Angenehm – Volker Kutscher

Bei seiner Lesung in Duisburg gewährt der Autor, der mit seinem Kriminalroman “Nasser Fisch” Die Vorlage für die Erfolgsserie „Babylon Berlin“ lieferte, Einblicke in seinen Arbeitsprozess und offenbart seine politische Motivation: für Demokratie, Rechtsstaat und Menschlichkeit.

Lesung beim Verein für Literatur Duisburg

Das Foyer der Duisburger Zentralbibliothek ist voll besetzt, als Volker Kutscher aus dem siebten Fall der Serie um den aus Köln stammenden Kommissar Gereon Rath liest. In dem steht Marlow im Mittelpunkt, der König der Berliner Unterwelt, im Film genannt „der Armenier“ und die Zuhörer, die sich bisher nur an die filmische Umsetzung gehalten haben, erfahren: Gereon und Charly – wie Lotte in den Büchern heißt – kriegen sich! Im Jahr 1935 heißt sie nicht mehr „Ritter“, sondern „Rath“. Wer der Mörder ist, verrät Kutscher natürlich nicht. Aber das kann man ja nachlesen – wäre schade, wenn die Spannung weg wäre.

Volker Kutscher zu Gast beim Verein für Literatur Duisburg in der Zentralbibliothek.

Volker Kutscher erzählt, wie seine Geschichten wachsen 

Was man nur hier erfährt: Wenn Kutscher von seinen Hauptfiguren erzählt, dann klingt das fast, als rede er von Verwandten, wenn nicht sogar von Kindern. „Was Gereon da tut, das finde ich nicht so gut“, sagt er beispielsweise darüber, wie Rath bei der Auffahrt Adolf Hitlers zum Reichparteitag in Nürnberg grüßt. „Manchmal machen sich die Figuren selbstständig“,sagt er später. Oder sie protestieren, wenn er etwas geschrieben hat, was nicht stimmig ist. „Das muss ich dann ernst nehmen. Selbst wenn ich dann die letzten 30 Seiten umsonst geschrieben habe.“ Bei einem Pensum von fünf Seiten täglich entspricht das der Arbeit einer Woche. Seine Bücher seien nicht wie Häuser, die man entwirft und plant bis ins letzte Detail, sondern eher wie ein Baum, der langsam wächst und bisweilen sogar den Autor überrascht.

Volker Kutscher erzählt bei der Lesung auch über seine Arbeitsweise und die Arbeit an Babylon Berlin

Babylon Berlin sichert das Interesse amerikanischer Verlage

Nach der filmischen Umsetzung zu Babylon Berlin wird er gefragt, die doch sowenig Ähnlichkeit mit der Buchvorlage habe: „Ich kann den Drehbuchautoren und Regisseuren Tom Tykwer, Achimvon Borries und Hendrik Handloegten vertrauen, deswegen haben sie alle Freiheit, die sie brauchen“, sagt er angenehm unprätentiös. „Filme machen ist doch etwas ganz anderes, als Bücher zu schreiben.“ Wichtig sei ihm lediglich gewesen, dass sie „aus der Zeit heraus erzählen, genau wie das Buch“, sprich: dass die handelnden Personen nicht wissen können, wohin das alles führt. Mit dem Ergebnis ist er sehr zufrieden. Dass amerikanische Verlage jetzt Interesse an den – bereits übersetzten und in England verlegten Büchern – haben, freut ihn außerdem.

Zwei Jahre Arbeit für ein Jahr der Zwischenkriegszeit

Woran er bei allen Unwägbarkeiten festhalten wird: Alle zwei Jahre wird ein neuer Gereon-Rath-Krimi erscheinen. „Schneller kann ich nicht arbeiten,“ sagt er und spricht auf Nachfrage auch von den Mühen des Schreibens, von den Zweifeln, die der „innere Lektor“ sät, um den Schaffensprozess zu bremsen. „Schreiben ist nicht nur schön, sondern auch anstrengend. Die Muse kommt nicht vorbei.“ In einen Flow, in dem die Figuren ihr Eigenleben entwickeln, komme er meist erst, wenn er sich zuvor durch die Seiten gequält habe.

Krimis für Demokratie und Menschlichkeit

Volker Kutsch signiert nach der Lesung am Tisch der Buchhandlung Scheuermann Bücher

Jeder Band behandelt ein Jahr der Zwischenkriegszeit. Begonnen mit 1929 kommt in zwei Jahren der Krimi zu 1936, dem Jahr der Olympiade. Eigentlich hatte er vor, damit aufzuhören. “Aber das wäre irgendwie doof“, sagt er und stellt in Aussicht, bis 1938 weiter zu machen. „Dann ist aber wirklich Schluss. Krieg will ich nicht erzählen.“ Sein Anliegen sei es, von den barbarischen Ereignissen zu erzählen, die in die Zivilisation eingebrochen sind. „Wenn man sich überlegt, die Reichspogromnacht! Vorne brannten die Laternen der Martinszüge, hinten die Synagogen“, zeigt er sich heute noch entsetzt. „Ich will erzählen, wie es dazu gekommen ist.“ Dass er damit auch verhindern will, dass es wieder so kommt, braucht er nicht zu sagen. Es steht greifbar im Raum und er erntet lang andauernden Applaus.