Kultur an der Ruhr II – Schauen und Staunen

Norbert Büchel nahm mich mit zu einer Susi-Sorglos-Tour durch das Ruhrgebiet, auf der ich viel zu schauen und zu staunen hatte.

Von Susanne Böhling

Start in der Villa Hügel

Ausgangspunkt der Ruhrtour war die Villa Hügel. Ich hatte sie als Haltepunkt in die Planung eingebracht, da ich sie bis dato nicht kannte.

Was Krupp in Essen waren die Fugger in Augsburg

Da es zu diesem Zeitpunkt keine Sonderausstellung in der Villa gab, war sie wenig besucht und wir konnten den Bau in seiner ganzen, unverstellten Pracht bewundern. Riesige Räume, teure Tapeten, Wandteppiche, Holzvertäfelungen, Schnitzereien, die Bibliothek.

Schranksims in der Villa Hügel, prächtig verziert

Der Sims eines Schrankes prächtig verziert mit Schnitzereien © Foto: Susanne Böhling

Das alles hat mich schwer beeindruckt und ich habe darauf verzichtet, mich mit Hintergründen zu beschäftigen. Stattdessen habe ich versucht einfach zu fühlen, zu welcher Prachtentfaltung Unternehmergeist bei entsprechendem Erfolg imstande ist und welche Gefühle das in Bewohnern und Besuchern ausgelöst haben mochte.

Holzvertäfelungen und schmiedeeiserne Geländer in der Bibliothek von Villa Hügel in Essen

Blick durch die Bibliothek der Villa Hügel © Foto: Susanne Böhling

Erinnern musste ich mich dabei an den kleinen Goldenen Saal im Augsburger Rathaus, in dem die Erfolge der Fugger und Welser ablesbar sind, die auch Fürsten gezeigt haben, wer in Wirklichkeit die Geschicke der Nation bestimmt. Es ist sicher kein Zufall, dass der Stahlunternehmer Krupp die Villa zu einer Zeit erbauen ließ, da für den Deutsch-Französischen Krieg Waffen gebraucht wurden.

Weitläufiges Gelände um die Villa Hügel in Essen

Blick über die Terrasse der Villa Hügel in den Wald des Ruhrtals © Foto: Susanne Böhling

Weithin sichtbar thront der ehemalige Familiensitz der Kruppfamilien über dem Ruhrtal. Heute gehört er der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und die Kulturstiftung Ruhr hat hier ihren Sitz.

Folkwang Museum in Essen

Angenehm, dass das Vermögen der Krupp-Stiftung auch dazu dient, den Besuchern des Museum Folkwang freien Eintritt zu gewähren. So haben wir uns ganz ohne den – lächerlich selbst auferlegten – Zwang, die Kosten ablaufen zu müssen, im Wesentlichen auf den zentralen Raum mit der Ausstellung Gediegenes und Kurioses Los Carpinteros, Ouyang Chun und Lieblingsstücke aus der Sammlung Olbricht konzentrieren können. Der Sammler Thomas Olbricht hat die Rauminstallation „Helm“ mit Schönem und Kuriosem aus Nah und Fern bestückt, die zum Entdecken und Staunen anregen. Seitdem weiß ich wieder, warum ich schon als Jugendliche meinen Setzkasten so sehr mochte. Und warum es ich zugunsten leichten Gepäcks nicht auf Nutzloses in meiner Wohnung verzichten möchte. Eine echte Befreiung!

Rauminstallation Los Carpinteros im Museum Folkwang

Schweinemädchen aus der Sammlung Olbricht in einer Wabe des “Helms” © Foto: Susanne Böhling

Gute Vorsätze sind wie kratzende Pullover

Meinung von Susanne Böhling
Ein Pullover aus kratziger irischer Wolle fotografiert von Susanne Böhling

Der kratzige Pullover. © Susanne Böhling

Sind Vorsätze, die wir nicht konsequent durchziehen, überhaupt nützlich?

So ist das immer um diese Zeit. Alle Medien kreisen um ein Thema: Die guten Vorsätze fürs neue Jahr. Das ist mir das so unangenehm wie ein kratziger Pullover. Trotzdem behalte ich ihn an. Schließlich tragen ihn zurzeit alle. Bereitwilligst räumen wir ein, dass wir behaftet sind mit einer Unzahl unakzeptabler Fehler und Marotten, die wir ausmerzen wollen mit den guten Vorsätzen. Allein das kratzt an meinem Selbstwertgefühl. Und: Was hat das bislang genutzt? Haben wir unsere guten Vorsätze durchgezogen? Der einzige Effekt war doch, dass sich mit jedem Abbruch die Selbstzweifel mehrten.

Zweifel am Nutzen von Verhaltensänderungen

Wobei: Wäre unser Leben erfolgreicher, unsere Lebern und Lungen gesünder, ja wären wir heute glücklicher, wenn wir nicht aufgegeben hätten? Wären wir bessere Menschen und das Himmelreich näher? Solche Gedanken legen sich wie eine Schicht Seide um meine Seele, mildern das Kratzen des Pullovers und den Drang zu guten Vorsätzen für 2016.

Ich habe nicht nur Fehler, sondern auch positive Eigenschaften

Im Übrigen hat mir das vergangene Jahr gezeigt, dass ich gar nicht so schlecht bin. Selbst wenn ich Ungesundes genossen und erneut Dinge vergessen oder verloren habe, von denen andere denken, dass das gar nicht möglich sei, wie damals, meine Eltern beim Turnbeutel „Susanne, wie kannst Du nur?“ Ich kann. Aber auch angenehme Sachen, wie andere zum Lachen bringen und kochen oder profitable Sachen, wie Businesspläne schreiben, effizient ein effektives Mahnwesen etablieren, Texte formulieren, Kunden gewinnen, mit Kollegen und dem Chef klar kommen.

Es gibt auch Fortschritte ohne “gute” Vorsätze

Ich habe mich sogar gebessert  in 2015. Habe im Job neues gelernt, angewendet und mich privat nicht mehr aufgeregt, wenn ich wieder etwas vergessen oder verloren hatte. Hat man mir deswegen Vorwürfe gemacht oder mich verächtlich angesehen, habe ich nur mit den Schultern gezuckt. Schließlich stehe ich seit langem ganz allein für die Verluste gerade, nicht wie früher, beim Turnbeutel. So habe ich einiges bewältigt im vergangen Jahr – eine weitere Schicht Seide vor dem kratzigen Pullover.

Besser: Sich den aktuellen Anforderungen zu stellen

Außerdem wird sich schon zeigen, welche neuen Herausforderungen ich im neuen Jahr meistern muss. Dabei werden mir Selbstzweifel nichts nutzen, sondern eher das Vertrauen in meine Fähigkeiten, für das im Übrigen nicht nur die Erfahrungen aus 2015, sondern aus vielen weiteren Lebensjahren sprechen. Vielleicht kann ich den kratzigen Pullover des Zwangs zu guten Vorsätzen allmählich ablegen, auch wenn andere ihn tragen. Doch will ich mir das nicht vornehmen. Vielleicht brauche ich das auch gar nicht. Irgendwann vergesse ich sie – wie immer und den Turnbeutel. Die Medien sind mit dem Thema auch bald wieder durch.

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